Der Soundkalender geht in sein drittes Jahr. Zur Entfaltung des vollen Hörgenusses empfiehlt sich der Gebrauch von Kopfhörern.
Jänner Schneegestapfe
Neben dem Herbst ist der Winter die einzige Jahreszeit, die man bei geeigneter Wetterlage am Geräusch der eigenen Schritte erkennen kann: dumpf, reduzierte Höhen, breites Rauschen, viel Bass.
Februar 50Hz
In einem Bürgebäude, das ungenannt bleiben will, hat ein alter Bekannter von mir den Schlüssel zum Transformatorraum. Dort werden von drei Transformatoren die 10.000 Volt aus der Hochspannungsleitung in 230 Volt Wechselspannung umgewandelt. Näher als bis zum roten Sperrbalken sollte man nicht an das Geschehen heran, da bei dieser Spannung der Strom 10 cm weit durch die Luft springt. Das ganze klingt so.
März Widerstandsklänge
Im März sprießen nicht nur die ersten Frühblüher, auch die Menschen kommen vorsichtig aus den Höhlen, in denen sie sich über Monate verkrochen haben, und atmen Frühlingsluft. Und der März ist, eröffnet durch den Weltfrauentag, auch ein Monat des Protests und Widerstandes, wo sich die kritischen Köpfe zeigen und sagen: “Wir sind noch da!” Auf einer der zahlreichen Demonstrationen aam 20. März (an die 100 waren allein in Wien angekündigt) habe ich Aufnahmen gemacht und zu einem Stimmungsbild aus Hubschrauberrattern, Megaphonparolen, Stimmengewirr und den Rhythmen der Maracatu-Gruppe SambAttac gebastelt.
April Industrial Free Jazz
Gegenüber der Tankstelle und der Autowerkstatt in der Baldiagasse,Wien Ottakring, hat eine Amsel den lokalen Soziolekt erlernt: Industrial Free Jazz.
Juni Ventilationsdröhnung
In meinem Kellerabteil habe ich beim Einzug einen hässlichen Ventialtorturm gefunden. Jetzt im Juni 2021, wenn die Temperaturen sich draußen regelmäßig den 35°C und in meiner südseitigen Wohnung den 28°C nähern, bin ich immer wieder froh, dass ich ihn nicht gleich entsorgt habe.
Juli Zementbordun
Im malerischen Küstendorf Koromačno auf Istrien entdecke ich ein Zementwerk. Obwohl … entdecken ist nicht der richtige Ausdruck, denn das Gebäude hat mehr Masse als die ganze Ortschaft. Und noch ein paar Nachbarorte dazu. 2026 feiert es seinen hundertsten Gebrutstag, meint der Kellner des Gasthauses, von dessen Terasse man direkt auf das riesige Werk blickt. Aber nicht nur optisch prägt es die Landschaft – auch akustisch mischen sich das überdimensionierte, sich ständig drehende Metallrohr und die veschiedenen Quietsch- und Zischlaute charaktervoll in die adriatische Kulisse.
August Radlagergeächz
Seit Mai 2021 bin ich Mitbesitzer eines VW-Busses. (Nach langer PKW-Verweigerung und ökologischem Urlauben mit Fahrrad und Bahn lässt sich diese Entwicklung vielleicht als Ausdruck zunehmenden Alters interpretieren.) Als Autobesitzer und auch -benutzer bin ich auch zum Fahrgeräuschelauscher geworden. Und unter diesen ist das wohl prägnanteste jenes Geräusch, das vorher noch nicht da war. Dieses war nach einer längeren Ausfahrt in Richtung Süden plötzlich da, ein unangenehmes Knarzen rechts vorne. Der Mechaniker fand nach zehn-minütigem Autoschaukeln, Lauschen und nach Vibrationen Tasten die Geräuschquelle. Unangenehmerweise stand schon am Prüfbericht des Automobil-Clubs, dass dieser Teil ausgetauscht gehört. Es ist aber trotzdem immer schön dabei zu sein, wenn Handwerker mit dem Gehörsinn arbeiten.
September Schafteppich
Auf dem karnischen Höhenweg geraten wir plötzlich in eine Herde italienischer Schafe. Obwohl diese Unterscheidung vor allem auf wissenschaftlich unbegründeten Vorurteilen beruht. Akustisch lässt sich in den Blökrufen der italienischen Schafe nämlich ein größerer Variantenreichtum hören, als zwischen der österreichsichen und der italienischen Schafnation nachgewiesen werden kann – und umgekehrt!
Oktober Heizungspolirhythimk
Im Meditatitionsraum des buddhistischen Zentrums Scheibbs befindet sich ein Kleinod akustischer Installationskunst. Die Heizkörper, die über einen Holzofen im Nebenhaus betrieben werden, dehnen sich nämlich beim Erwärmen mit polyrhythmische Klopfkaskaden aus. Vor allem in der Früh, wenn die Heizung eingeschalten wird, entsteht dadurch eine anspruchsvolle Klangkulisse für die Morgenmeditation.
November Grasgewisper
Im stürmischen November durchschneidet ein Schilfgebüsch auf einer Lichtung im Wienerwald mit säuselndem Pfeifen den Westwind.
Dezember Krähenkrähen
Friedhöfe sind vor allem im Winter beliebte Treffpunkte für Krähen. Unter anderem, weil Blumenschmuck durchaus nahrhaft sein kann und auch das Wachs der Grablichter in der kalten Jahreszeit wichtige Energie liefert. Im Hernalser Friedhof sind die Bäume deshalb dicht beschwärmt und der Krähengesang ist eine ständige Klangkulisse zur sonst stillen Idylle.